Landeskriminalamt Niedersachsen legt Präventionsprojekt für Grundschüler auf / Jedes vierte Kind ist Opfer
Von Thomas Nagel
Hannover. Lilli wird in ihrer Chatgruppe beleidigt. „Du bist zu fett“, schreibt ein Klassenkamerad im Internet. Alle lachen darüber. Die Viertklässlerin zieht sich zurück, redet mit ihren Eltern nicht mehr über die Schule. Experten sprechen in Fällen wie diesem von Cybermobbing, der Beleidigung und Beschimpfung im Internet.
Lilli ist eine virtuelle Schülerin, die zu dem Präventionsprojekt „Chatscouts“ des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA) gehört. Unter der Internetadresse www.chatscouts.de tritt die Figur auf und erzählt ihre Erlebnisse. Dort finden sich auch viele weitere Informationen, die für das Thema Cybermobbing bei Kindern sensibilisieren sollen.
„Beängstigend ist, dass man nicht weiß, wer sich alles am Mobbing im Internet beteiligt,“ sagt Ilka Germer vom Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen. Sie ist federführend für das Präventionsprojekt. Es richtet sich an Eltern, Lehrer und Schüler der dritten und vierten Klassen. Das Projekt umfasst auch eine Unterrichtseinheit für Pädagogen.
Früher Start mit dem Internet
Laut einer aktuellen Studie haben 99 Prozent aller Kinder ab dem sechsten Lebensjahr Zugang zu einem Handy. Mehr als 50 Prozent der Schüler im Alter von sechs bis 13 Jahren besitzen ein Smartphone. „Einer Befragung zufolge ist jedes vierte Kind Opfer von Cybermobbing“, sagt LKA-Beamtin Germer.
„Chatscouts“ wurde in Kooperation mit den Regionalen Landesämtern für Schule und Bildung und der Zentralstelle für Jugendsachen im LKA entwickelt. In einfacher Sprache schildert die virtuelle Schülerin „Lilli“, wie sie gemobbt wird – und was sich dagegen tun lässt. „Die Grundschüler brauchen Ansprechpartner, damit sich das Problem nicht auswächst“, sagt Germer.
In Podcasts erklärt eine Sozialpädagogin auf der Internetseite der „Chatscouts“, was Mobbing ist, auch die Täter- und Opferperspektive wird erklärt. Wie wichtig das Thema ist, belegen Zahlen: Rund 70 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen spielen unbeaufsichtigt Computerspiele. Aber nur 31 Prozent der Eltern haben eine Jugendschutzsoftware in ihre digitalen Geräte integriert.
Mit anderen Worten: Ein großer Teil der Erziehungsberechtigten weiß nicht, was die Kleinen so alles im Internet erleben. Expertin Germer hat einen passenden Vergleich dazu parart: „Ich schicke mein Kind, das noch nicht schwimmen kann, doch auch nicht ohne Schwimmflügel ins Wasser.“ Aber einen Freischwimmer für das Internet gibt es nun einmal nicht. Germer ist der Ansicht, dass viele Eltern nicht gelernt haben, sich im Netz hinreichend zu schützen. Und dann funktioniere das auch nicht bei ihren Töchtern und Söhnen.
Auf Signale achten
Woran können Eltern merken, dass ihr Kind im Netz gemobbt wird? Ein Alarmzeichen sei es, wenn sich Jungen oder Mädchen zurückziehen, schüchterner werden, sagt Germer. Auch wenn sie weniger von der Schule erzählen als früher, sollten Eltern hellhörig werden. Ebenso könnte eine erhöhte Aggressivität bei Konflikten bedeuten, dass Kinder im Internet verhöhnt werden.
Bei all dem sei der Persönlichkeitsschutz im Internet relativ einfach, betont die LKA-Beamtin. Eltern sollten sich zum Beispiel genau überlegen, ob sie unbedingt Bilder vom Sohn oder der Tochter im Netz verbreiten müssten. Auf der „Chatscout“-Seite wird auch empfohlen, was Schüler beim Anlegen eines Profils in den Sozialen Medien zu beachten haben. So sollte etwa nicht das Gesicht des Inhabers oder der Inhaberin gezeigt werden. Der volle Name und das Geburtsdatum seien auch nicht von Bedeutung, wird weiter erklärt. Die Privatsphäre-Einstellungen helfen zudem dagegen, dass Fremde etwa Urlaubsbilder mit abschätzigen Worten verbreiten.
Bei „Chatscout“ Lilli gibt es schließlich einen guten Ausgang. Ihr Mitschüler Yasin entschuldigt sich bei ihr für sein Verhalten. „Das Happy End ist wichtig für Kinder“, sagt Germer. Dieser Satz dürfte auch für alle Eltern gelten.
Quellenangabe: HAZ vom 07.07.2022, Seite 8